Ehrfurcht vor dem Leben, auch vor der kleinsten Kreatur
Albert Schweitzer (1875-1965)

Dieses Zitat des Arztes, Philosophen, evangelischen Theologen, Musikers und Pazifisten, der in Zentralafrika ein Krankenhaus gründete, war das humanistische Leitmotiv im Leben von Helena Scigala.

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Helena Scigala skizzierend 1956 (Foto: Stefan Fey)
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Helena Scigala mit ihrem Sohn 1966 (Foto: Eva Kemlein)
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Helena Scigala bei der Arbeit 1981 (Foto: Stefan Fey)
Signatur
*01.03.1921 in Batow (heute Batowo, polnisch)
† 08.04.1998 in Berlin

Helena Scigala

Biografische Zwischenbilanz zu Leben und Werk / Zeittafel

I. Batow (heute polnisch Batowo):

01. März 1921

Geburt im Dorf Batow/Kreis Soldin(zeitgenössisch: Hinterpommern) als erstes Kind des besitzlosen Wander- und Landarbeiterpaares (zeitgenössisch: Schnitter) mit Anna, geb. Hemer und Josef Scigala

II. Berlin-Pankow:

1927

Infolge wirtschaftlicher Not geben die Eltern ihre Tochter in das von Diakonissen geführte evangelische Waisenhaus SILOAH in Berlin-Pankow, woraufhin sie auch die Volksschule besucht

Januar 1933

Adolf Hitler wird Reichskanzler, die Weimarer Republik als Demokratie endet und Deutschland durchläuft die Umwandlung in eine Diktatur des Nationalsozialismus

September 1935

mittels der sogenannten Nürnberger Gesetze werden jüdische Menschen entrechtet und zu Bürgern zweiter Klasse degradiert

III. Havelland (Brandenburg) bei Berlin - Caputh und Beelitz:

1936

Abschluss der Volksschule im Alter von 15 Jahren

ab 1936

Antritt einer Stelle als Hausmädchen in Caputh bei Potsdam

September 1939

Mit dem Überfall auf Polen löst das Deutsche Reich den Zweiten Weltkrieg aus

vor Mai 1940

Höchstwahrscheinlich (aktuell nur mündliche Überlieferung seitens der Biografierten und im weiteren Lebensverlauf strenge Tabuisierung des Themas) kurzzeitige Verschleppung in das Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück nördlich von Berlin; infolge ihres angeblich „unjüdischen“ Aussehens wird die 19-Jährige nicht zur Zwangsarbeit in Ravensbrück eingeteilt, sondern nach Beelitz dienstverpflichtet.

ab Mai 1940

Dienstverpflichtung als Stationsmädchen im Komplex der Lungenheilstätten Beelitz bei Potsdam; ein Einsatz mit dem Risiko, sich bei der Krankenpflege durch Tröpfcheninfektion anzustecken

Ende April 1945

Beelitz und die Lungenheilstätten sind von der Roten Armee eingeschlossen; das nahegelegene Örtchen Ferch und die Heilstätten werden wieder von der Wehrmacht eingenommen

Mai 1945

Ende des Zweiten Weltkrieges mit deutscher Kapitulation

bis Mai 1946

Fortführung der Arbeit als Stationskraft in den Lungenheilstätten Beelitz; zuletzt wohnhaft in der Straße 45, Baracke 15

IV. Berlin-Pankow:

Mai 1946

Umzug als ledige Alleinstehende zur Untermiete bei der alleinstehenden Frau Reimann in die Wisbyer Straße 47 in Berlin-Pankow; in der polizeilichen Anmeldung: Übernahme der diskriminierenden NS-Einstufung als „staatenlos“

Mai bis September 1946

Abeitseinsatz der angehenden Kunststudentin als Trümmerfrau und Aufbauhelferin an ihrem künftigen Studienort in Berlin-Weißensee

September 1946 bis März 1949

Studium der Malerei und Grafik an der Kunsthochschule Weißensee, Schülerin von Prof. Arno Mohr

April 1949 bis Sommer 1951

Studium der Malerei und Grafik an der Hochschule für bildende Künste in Berlin-Charlottenburg (West-Berlin)

Oktober 1949

auf dem Territorium der sowjetischen Besatzungszone wird die Deutsche Demokratische Republik (DDR) mit Ost-Berlin als Hauptstadt gegründet

Dezember 1954

Beginn der Berufstätigkeit als selbstständige Grafikerin nach Bewilligung des Aufnahmeantrages in den Verband Bildender Künstler Deutschlands (VBKD 1950 bis 1970) bzw. den Verband Bildender Künstler der DDR (VBK 1970 bis 1990), dessen Mitgliedschaft sowohl für die Berufsausübung als auch für die Teilhabe an Ausstellungen unabdingbar war

Januar 1957

Umzug als ledige Alleinerziehende mit dem fast 5jährigen Sohn und erstmals im Status der Hauptmieterin; in eine sogenannte Atelierwohnung mit 41qm Fläche, gelegen im 4. Obergeschoß eines Neubaus in der Pestalozzistraße 26 in Berlin-Pankow

vor 1960

Hinwendung zur komplexen Technik des Farbholzschnittes, die schon allein durch die erforderlichen Einzeldrucke pro Farbe einen hohen Aufwand bedeutete und mit deren Weiterentwicklung sich Helena Scigala innerhalb der Künstlerschaft der DDR ein Alleinstellungsmerkmal erarbeitete

August 1961

die DDR-Regierung festigt mit dem „Mauerbau“ die Teilung Deutschlands

1960 bis 1970

fruchtbarste künstlerische Schaffensjahre mit Höhepunkten hinsichtlich der Produktion von Werken sowie hinsichtlich der Präsenz innerhalb von Medien und Ausstellungen; 1960: 3. Preis beim grafischen Wettbewerb der Partei Christlich-Demokratische Union (CDU) mit einem Zyklus über das Konzentrationslager Ravensbrück und 1964: 1. Preis beim Nachfolgewettbewerb mit dem Zyklus über den Arzt und Humanisten Albert Schweitzer (zeitgenössisch „Urwalddoktor“ genannt)

Liste der DDR-Künstlerinnen und -Künstler im 518 Seiten umfassenden Ausstellungskatalog der „IBA Leipzig 1965“ (Internationale Buchkunst-Ausstellung). Die hier Genannten waren unter den Bewerberinnen und Bewerbern seitens der DDR-Verantwortlichen ausgewählt worden, um das Land beim Wettbewerb „Grafik aus fünf Kontinenten – Freundschaft zwischen den Völkern“ im Rahmen der IBA repräsentieren zu dürfen.

Helena Scigala erlangte den Zugang zu dieser Leistungsschau mit Ausstellern aus über 70 Ländern, die an große Buchmesse-Traditionen vom Beginn des 20. Jahrhunderts anknüpfte, mit dem Zyklus über Albert Schweitzer. Auf diese Tatsache und auf die ihr übereignete Teilnahme-Urkunde war sie lebenslang besonders stolz.

1969-1972

Auftrag über den seinerzeit längsten Holzfries (Relief) der Welt als Objekt am Bau des sowjetischen Spezialitätenrestaurants „Baikal“ (siehe auch die Abbildung unter „Medienecho“ 1981) in Berlin-Mitte; Gesundheitsschäden an der rechten Hand infolge von Überbeanspruchung; die Arbeit mit folkloristischen Motiven muss unverschuldet zweifach ausgeführt werden, da sich das Holz für die erste Version als ungeeignet herausstellte

1972-März 1973

Antrag der Staatenlosen auf Erlangung der DDR-Staatsbürgerschaft, nachdem ihr ebenfalls staatenloser Sohn die Volljährigkeit erlangt hatte und dadurch von ihrem diesbezüglichen Status nicht mehr abhängig war; ein Zwangs-Gutachten des VBK befürwortet dieses Gesuch und die Verleihung erfolgt mittels Aushändigung der Staatsbürgerschaftsurkunde am 52. Geburtstag der Künstlerin

Juli 1973

im Alter von 52 gelingt Helena Scigala die Anmietung einer Zwei-Zimmer-Wohnung in der Pestalozzistraße 26 in Berlin-Pankow im gleichen Haus und direkt unterhalb des Ateliers, welches sie nach dem Auszug des Sohnes wieder alleinlebende, selbstständige Künstlerin weiterhin anmietet

1974 und 1978

längere Krankheitsphasen, stationäre Behandlungen und Rehabilitationsmaßnahmen

Juli 1976

Eintritt in die an christlichen Werten orientierte, sozialistische Blockpartei CDU, in deren Umfeld und für deren Institutionen sie bereits seit 1959 künstlerisch tätig war

1977

staatlicher Auftrag zur grafischen Ausgestaltung der Musikschule in Berlin-Pankow, nachdem sie mittels Netzwerkkontakten um diesen gerungen hatte

März 1981

Erreichung des regulären Rentenalters für Frauen; nahtlose Fortführung der selbstständigen künstlerischen Tätigkeit: auch wegen der vergleichsweise niedrigen Rente und den daraus resultierenden materiellen Sorgen, wie private Korrespondenzen belegen

November 1989

u.a. infolge anhaltender Massenproteste der DDR-Bevölkerung fällt die Berliner Mauer und die deutsche Teilung kann aufgehoben werden; die DDR übernimmt als sogenanntes Beitrittsgebiet neben der bundesrepublikanischen Währung zeitnah auch Verfassung, Gesetze und Sozialsysteme - mit ganz individuellen Vorteilen und/oder Verwerfungen für ihre Bevölkerung

nach 1990

Dominanz von Konflikten aus dem Bereich Rente und soziale Absicherung, von Passivität bei der Mängelbeseitigung seitens der Vermietungsgesellschaft sowie von körperlichen Beschwerden im Leben von Helena Scigala

1997

Krankenhausaufenthalte

Januar 1998

Verlegung als Patientin in ein Altenpflegeheim des Evangelischen Diakonissenhauses Berlin-Teltow am Standort Berlin-Pankow

08. April 1998

Tod im Alter von 77 Jahren in Berlin-Pankow; dem Wunsch der Verstorbenen entsprechend, erfolgt die Beisetzung auf einer Friedhofswiese in Berlin

Aus dem Kondolenzschreiben von Christian und Jutta Gaebler vom 22. April 1998: [Sie] ist gegangen, so, wie sie gelebt hat: leise, freundlich, bescheiden. […] [Sie] hatte es bestimmt nicht leicht und bequem in ihrem Leben, und doch war ihr Gesicht nie verbittert, sondern hatte immer etwas Freundliches, fast ängstlich Lächelndes.“

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